Für die Nadeln kommen Sie zu einem mittleren Ausgangsrisiko: das erwartete Schadensausmaß ist zwar gering, aber die Wahrscheinlichkeit eher hoch.
Nun müssen Sie Maßnahmen einleiten, um das Risiko zu minimieren.
Also, was tun?
Sie sitzen zu Hause im gemütlichen Wohnzimmer und freuen sich über den soeben fertig aufgestellten Weihnachtsbaum. Ihre Kinder rennen durch den Raum und kommen dabei dem Christbaum gelegentlich gefährlich nahe. Mit Ihrer Frau bzw. Ihrem Mann hatten Sie zuvor eine Diskussion, ob der Baum durch echte Wachskerzen geschmückt werden soll oder nicht, und Ihre Schwiegermutter möchte noch die traditionelle Christbaumspitze anbringen.
Sie geraten ins Schwitzen und fragen sich, wie das eigentlich mit der Sicherheit des Weihnachtsbaums ist.
Sie haben kürzlich eine Schulung zum Thema CE-Kennzeichnung bei en:plan besucht, wo Ihnen erklärt wurde, dass man als Hersteller eines Erzeugnisses für dessen Sicherheit verantwortlich ist.
Wie sieht es bei einem Weihnachtsbaum aus? Haben Sie durch das Schmücken aus der Tanne einen Weihnachtsbaum gemacht und sind für dessen Sicherheit verantwortlich?
An dieser Stelle kann ich Sie beruhigen. Wir möchten nicht zusätzlichen Weihnachtsstress generieren, indem wir Sie mit zusätzlichen Fragen konfrontieren. Vielmehr möchten wir die Feiertage als Anlass nehmen, um mit zwinkerndem Auge auf das Thema CE-Kennzeichnung schauen.
Wenn Sie sich die Frage stellen, ob Sie eine CE-Kennzeichnung für Ihr Produkt benötigen, müssen Sie recherchieren.
Es ist zu klären, ob es Richtlinien oder Verordnungen gibt, die eine CE-Kennzeichnung für Weihnachtsbäume fordern. Denn nur, wenn es für Ihr Produkt eine entsprechende Vorgabe gibt, müssen Sie eine CE-Kennzeichnung durchführen – im Gegenteil, das Anbringen an Produkten ohne entsprechende Vorgabe ist sogar verboten!
Also machen Sie sich auf der offiziellen Seite der Europäischen Union "EUR-Lex" auf die Suche, wo sämtliche Rechtstexte der EU veröffentlicht werden.
Und siehe da, Sie finden die "Richtlinie 2022/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.12.2022 über Nadelholzgewächse mit Dekoration und elektrischen oder thermischen Beleuchtungsmitteln zwecks Besinnlichkeit und allgemeiner Erheiterung".
Was Sie zunächst ganz und gar nicht erheitert, denn dort steht, dass diese Richtlinie anzuwenden ist "auf alle Nadelholzgewächse, welche durch das Anbringen von Dekoration oder Beleuchtungsmitteln die Funktion eines 'Weihnachtsbaums' entsprechend der Definition in Absatz 1.2" erfüllen. Ihr Weihnachtsbaum scheint also unter die Vorgaben der Richtlinie zu fallen!
Sie lesen also weiter und finden in der Richtlinie, dass dort die Durchführung einer Risikobeurteilung zur Bewertung der Konformität des Weihnachtsbaums gefordert wird. Die Risikobeurteilung hilft Ihnen dabei, systematisch die Gefahren an Ihrem Weihnachtsbaum zu bewerten.
Begonnen wird bei der Risikoanalyse mit der Ermittlung möglicher Gefahrenquellen. Sie gehen die Liste der Gefährdungsarten in der Norm durch, um systematisch alle zu ermitteln.
Ihnen fallen zwei Gefährdungen auf:
Sie bewerten jeweils das Risiko der beiden möglichen Gefährdungen anhand des Schadensausmaßes der möglichen Folgen und der Eintrittswahrscheinlichkeit.
Für die Nadeln kommen Sie zu einem mittleren Ausgangsrisiko: das erwartete Schadensausmaß ist zwar gering, aber die Wahrscheinlichkeit eher hoch.
Nun müssen Sie Maßnahmen einleiten, um das Risiko zu minimieren.
Also, was tun?
Um das Risiko komplett zu bannen, könnten Sie alle Nadeln vom Baum entfernen. Damit würde der Baum allerdings ganz schön traurig aussehen und nicht mehr seinen Zweck erfüllen.
Genau wie Sie auch eine Kettensäge nie komplett sicher machen können, ohne die Funktion zu beeinträchtigen, müssen Sie auch bei Ihrem Weihnachtsbaum einen Kompromiss finden.
Da das Schadensausmaß ohnehin gering ist, sollten Sie lieber an dem Faktor "Eintrittswahrscheinlichkeit" schrauben.
Also machen Sie das, was zu jedem sicheren Produkt ohnehin gehört: eine Unterweisung.
Sie erläutern Ihren Kindern, dass Sie sich an den Nadeln verletzen können und deswegen vorsichtig sein sollen.
Die Teilnahme an dieser Unterweisung lassen Sie sich natürlich von Ihren Kleinen mit Ort, Datum und Unterschrift bestätigen! Die Kinder, die noch nicht schreiben können, dürfen mit einem Handabdruck die Teilnahme nachweisen.
Außerdem haben die Schlitzohren die Anweisungen bis nächstes Weihnachten wieder vergessen, weswegen die Unterweisung auch jährlich wiederholt wird.
Nach der Umsetzung dieser Maßnahmen ist das Restrisiko zwar immer noch nicht auf "null", aber das muss es auch nicht! Es muss immer ein Kompromiss zwischen Sicherheit und der Funktion gefunden werden. Ob oder wann ein Risiko auf einen akzeptablen Rest reduziert wurde, ist Ihrer Einschätzung überlassen.
Bei der anderen Gefährdung sieht es etwas schwieriger aus.
Durch die Kerzen, die Sie an dem Baum anbringen wollten, entsteht eine erhebliche Brandgefahr!
Das mögliche Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit sind also beide hoch, somit auch das Gesamtrisiko.
Anders als bei den spitzen Nadeln können wir diesmal auch direkt an der Gefahrenquelle ansetzen: Wir ersetzen die Kerzen durch LED-Lichterketten, welche nicht so viel Hitze produzieren und keine so große Brandwahrscheinlichkeit haben!
Als Nächstes treffen wir noch eine ergänzende Schutzmaßnahme, indem wir den Stamm des Baums in einen Topf stellen, der mit Wasser gefüllt ist.
Dadurch kann der Baum über die Feiertage Wasser aufnehmen und bleibt nicht nur frischer, sondern kann sich auch weniger leicht entflammen!
Zu guter Letzt muss auch hier eine Unterweisung durchgeführt werden. Allen Familienmitgliedern wird gezeigt, wie die Beleuchtung ein- und ausgeschaltet wird und es werden alle angewiesen, die Beleuchtung auszumachen, wenn sie zu Bett gehen oder das Haus verlassen.
Durch diese Maßnahmen haben wir die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Brand wesentlich gesenkt. Wie schon im Beispiel zuvor kann es sein, dass an dem Schadensausmaß nichts geändert werden kann. Dennoch kommen wir so insgesamt auf ein für uns hinnehmbares Restrisiko.
Nach der Umsetzung dieser Maßnahmen haben wir die beiden Gefährdungen an dem Weihnachtsbaum ausreichend reduziert.
Entsprechend der Weihnachtsbaumrichtlinie dürfen wir nach der Risikobeurteilung das CE-Kennzeichen auf unserem Weihnachtsbaum anbringen und eine "Weihnachtsbaum-Konformitätserklärung" ausstellen.
Damit das Kennzeichen gut zu erkennen ist, muss es natürlich ganz oben auf der Spitze des Baums platziert werden. Die Diskussion mit Ihrer Schwiegermutter über die traditionelle Christbaumspitze wird dadurch außerdem kategorisch mit Verweis auf die gesetzlichen Vorgaben unterbunden.
So kann jeder auf den ersten Blick sehen, dass Ihr Weihnachtsbaum sicher ist und allen rechtlichen Sicherheitsanforderungen entspricht!
Wenn Sie im Kreis der Familie feiern, werden Ihre Gäste bestimmt nicht schlecht staunen, wenn Ihr Baum eine ordentliche CE-Kennzeichnung ziert!
Okay, zugegeben: Eine Weihnachtsbaumrichtlinie gibt es nicht. Und Sie müssen natürlich auch keine CE-Kennzeichnung an Weihnachtsbäumen anbringen.
Dennoch hoffen wir, Ihnen prinzipiell die korrekte Vorgehensweise bei der CE-Kennzeichnung und Risikobeurteilung von wie auch immer gearteten Produkten und Erzeugnissen an diesem Beispiel verständlich gemacht zu haben.
Wenn Sie Unterstützung bei der CE-Kennzeichnung brauchen – solange es nicht um Weihnachtsbäume geht – dann nehmen Sie jederzeit gerne Kontakt zu uns auf!
Das en:plan-Team wünscht Ihnen und Ihren Liebsten ein frohes und besinnliches Fest!