Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in einem wegweisenden Urteil am 5. März 2024 entschieden, dass die EU-Kommission den kostenfreien Zugang zu harmonisierten Normen gewähren muss.
Dieser Beschluss erging in Reaktion auf eine Klage der gemeinnützigen Organisationen Public.Resource.Org, Inc. aus Kalifornien und Right to Know CLG aus Irland. Beide setzen sich dafür ein, Gesetze frei zugänglich für alle Bürger zu machen – wozu nach Auffassung der Kläger auch harmonisierte Normen zählen.
Harmonisierte Normen sind technische Spezifikationen, die von europäischen Normungsorganisationen im Auftrag der EU-Kommission erstellt werden. Diese Normen spielen eine Rolle bei der praktischen Umsetzung der eher allgemein formulierten, grundlegenden Anforderungen in verschiedenen EU-Richtlinien und -Verordnungen in konkrete Produkte. Wie beispielsweise die „Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen“ bei der Konstruktion von Maschinen im Anhang I der Maschinenrichtlinie (2006/42/EG).
Doch bisher waren solche harmonisierten Normen kostenpflichtig und für die breite Öffentlichkeit daher nicht ohne Weiteres zugänglich.
In vorherigen Instanzen waren die Kläger zunächst gescheitert. Nun argumentierten sie aber erfolgreich vor dem EuGH, dass harmonisierte Normen einen integralen Bestandteil des EU-Rechts darstellen und daher öffentlich zugänglich sein müssen.
Der EuGH betonte dabei das „überwiegende öffentliche Interesse“ an der Verbreitung der harmonisierten Normen und leitet dieses aus den „Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, der Transparenz, der Offenheit und des guten Regierens“ ab.
Zu der Frage, ob Normen urheberrechtlich geschützt seien und deswegen nicht kostenlos veröffentlicht werden müssen (so die Gegenseite), wurde in dem Urteil keine konkrete Stellung bezogen. Stattdessen wurde klargestellt, dass wenn harmonisierte Normen als "Teil des Unionsrechts" gelten, auch ein Anspruch auf freien Zugang besteht.
Die Bedeutung dieses Urteils geht jedoch über den bloßen Zugang zu Informationen hinaus. Die Finanzierung der nationalen Normungsorganisationen, wie zum Beispiel in Deutschland die DIN und die DKE, durch den Verkauf der harmonisierten Normen, steht nun auf dem Prüfstand.
Diese finanzieren sich nach eigener Aussage zu bis zu 75% aus den Einnahmen durch den Verkauf von Normen. Durch das neue EuGH-Urteil fällt diese Finanzierungsmöglichkeit weg.
Das EuGH-Urteil bedeutet zweifellos einen Umbruch für den Zugang zu harmonisierten Normen. Es wird interessant sein zu sehen, wie die EU und die Normungsorganisationen darauf reagieren und wie sich die Normungslandschaft in Europa in Zukunft gestalten wird.